Christina Schlag von Weltläden in Hessen e.V. berichtete im August bei Karibu von einer 3-wöchigen Reise nach Südafrika, die ihr intensive Einblicke in das Leben und Arbeiten der Menschen vor Ort und direkten Austausch mit denjenigen ermöglichte, die die Produkte fertigen, die wir in unseren Weltläden verkaufen. Von der Erfolgsgeschichte der Heiveld Tee-Kooperative über die Weinvermarktung der Stellar Winery bis hin zu den kunstvollen Keramiken von Isuna spannte sich der Bogen des Vortrags.
Im Nachgang zum Vortrag führte Britta Erlemann ein Interview mit Christina Schlag.
Was ist Dir von Eurer Reise am eindrücklichsten in Erinnerung geblieben?
Die Menschen. Ich habe viele sehr unterschiedliche, selbstbewusste und selbstbestimmte Menschen kennengelernt, die mit einer großen Lebensfreude ihre Energie in ihre Arbeit und ihre Produkte stecken.
Der große Stellenwert der Handarbeit im Fairen Handel. Dass fast alle kunsthandwerklichen Produkte aus unseren Weltläden in Handarbeit hergestellt werden, wissen wir. Aber es war doch sehr eindrücklich, diese Handarbeit während des Herstellungsprozesses der Produkte selbst zu erleben. Wie viele Handgriffe nötig sind, bis z.B.bei Kapula aus dem Rohmaterial eine Kerze in eine per Hand gefertigte Form gegossen und schließlich handbemalt und handverpackt wird. Wie genau die Künstler*innen bei ISUNA die Scherben (so nennt man die Rohlinge) auf kaum sicht- oder spürbare Beschädigungen kontrollieren, um nach dem aufwändigen Prozess der Bemalung mit Farbgrundierung und anschließendem freihändigen Malen der Tiermotive ein perfektes Werkstück zu erhalten.

Die Stellar Winery ist familiengeführt, ISUNA privatwirtschaftlich und Heiveld ist eine Kooperative – heißt, das Unternehmen gehört den 50 Bauersfamilien – richtig?
a) Die Situation bei Stellar ist komplex. Stellar Winery besteht aus einer Gruppe von Unternehmen. Den Ursprung liegt im Gemüseanbau der Familie Rossouw, die dort schon einige Generationen lang Gemüse anbaute. Zwei Russow-Brüder gründeten später Stellar Organics. Aktuell ist es so, dass es neben der Winery einen landwirtschaftlichen Teil von Stellar gibt, Stellar Agri,. An ihm halten die Mitarbeiter 63,74% der Anteile in ihrem Besitz. Die Stellar Foundation setzt die von den Arbeitern selbstgewählten Projekte um.

b) ISUNA wurde früher von einem Ehepaar geführt. Als diese aus Altersgründen aufhörten, übernahmen Hans-Uli und Christina Strohm aus Deutschland den Betrieb. ISUNA engagiert sich in sozialen Projekten, z.B. in Langa, wo die Mitarbeiter einen Teil ihrer Arbeitszeit damit verbringen, mit den Kindern vor Ort Workshops durchzuführen.
c) Die Heiveld-Kooperative besteht aus über 50 Mitgliedern, die auf kleinen Flächen Land Rooibos-Tee ernten. Viele von ihnen gehen noch einer weiteren Erwerbstätigkeit nach, viele davon auch innerhalb der Kooperative. Die Kooperative wirtschaftet selbstverwaltet und solidarisch und befolgt beispielhaft die Grundsätze des Fairen Handels. Ein Teil der Gewinne fließt in soziale Projekte, u.a. Anti-Diskriminierungs-Themen, und jede*r Farmer*in erhält den eigenen Gewinn entsprechend der eingebrachten Ernte. Die Mitglieder der Kooperative wählen einen Vorstand, der anstehende Entscheidungen trifft und für die Geschäftsführung zuständig ist. Die Mitgliederzahl der Kooperative belief sich bei unserem Besuch
Ich habe mir vermerkt, Heiveld sei „fest in Frauenhand“. Wie genau wird das Unternehmen geführt und welche Chancen bietet es speziell Frauen?
Das war mein Eindruck, eine Momentaufnahme von 2024 wohlgemerkt, weil sowohl die Chairwoman eben eine Woman ist, also die Vorstandsvorsitzende (übrigens die erste seit Gründung der Kooperative), als auch wichtige Funktionsstellen in der Kooperative, wie Geschäftsführung und Exportmangement, von Frauen besetzt sind. Ich hatte den Eindruck, dass bei Heiveld Frauen und Männer gleichberechtigt arbeiten.

Wie war es, Keramik selbst zu bemalen?
Ich bin nicht besonders künstlerisch begabt oder aktiv und habe keine Erfahrung mit dem Werkstoff Keramik. Der Untergrund unterscheidet sich natürlich sehr von Papier, die Farbe verläuft anders, es war nicht leicht, die Formen mit dem feinen Pinsel auszuführen. Es braucht viel Erfahrung und Geschick. Von einem Profi, wie Mlandeli angeleitet zu werden hat da natürlich sehr geholfen und es hat viel Spaß gemacht.
Was bewirkt der faire Handel in Südafrika?
Der Faire Handel verändert das Leben von Menschen nachhaltig. Er gibt Menschen eine Chance, die aufgrund fehlender Ausbildung auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance hätten. Gerade in Südafrika ist das sehr wichtig, da es das Land mit der weltweit höchsten Arbeitslosigkeit (32,9% im 1. Quartal 2025, https://www.gov.za/news/media-statements/statistics-south-africa-quarterly-labour-force-survey-qlfs-%E2%80%93-q1-2025-13-may) ist. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt nach offiziellen Angaben bei 46,1% im 1. Quartal 2025 (s. Quelle oben). Das sind jedoch nur die offiziellen Zahlen. Menschen, mit denen wir vor Ort gesprochen haben, sprechen von über 60% Jugendarbeitslosigkeit. Viele meldeten sich nicht bei den offiziellen Stellen, weil sie keine oder nur sehr geringe finanzielle Unterstützung erhalten können. Selbst gut ausgebildete junge Menschen hätten große Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Viele von ihnen würden auswandern. Trotzdem bliebe die gute Schulbildung das A und O, um überhaupt eine Chance zu haben, weshalb einige der von uns besuchten Fair-Handelsparter*innen, wie Stellar oder Turqle Trading, besonders eine gute Schulbildung ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit rücken.
Der Faire Handel verschafft Kooperativen und kleinen Unternehmen einen Marktzugang für den Export ins Ausland. Nicht immer nennen die Menschen vor Ort Dinge als besonderen Vorteil des Fairen Handels, die wir in Deutschland vielleicht als erstes erwarten würden, wie einen höheren Lohn. Besonders häufig wurde von Arbeitnehmer*innen wie von Kooperativenmitgliedern die Verlässlichkeit genannt: Die Sicherheit, einen festen Job mit geregelten Arbeitszeiten zu haben, die Erfahrung, mit Fairhandelsimporteuren, wie z.B. GEPA oder Weltpartner auf langjährige Partnerschaften zurückblicken zu können und die Gewissheit, dass diese Beziehungen auch weiterhin Bestand haben. Ein anderer Aspekt, der häufig von den Beschäftigten im persönlichen Gespräch genannt wurde, war das gute Arbeitsklima in den Betrieben und die Möglichkeit, mitzubestimmen, gehört zu werden, auch, selbst Verantwortung zu tragen.
Welchen Stellenwert hatte der Besuch der Townships im Rahmen der Reise?
Wir haben neben dem Besuch der Fair-Handels-Partner und des WFTO-Summits, unseren Aufenthalt in Südafrika auch genutzt, um uns intensiv mit der Geschichte des Landes auseinanderzusetzen.
Wir waren in Langa, einem der ältesten schwarzen Townships Südafrikas, das bis heute existiert. Der Zweck unseres Besuchs war es, sich intensiv mit der Apartheidsgeschichte Südafrikas auseinandersetzen zu können und das an einem Ort, der exemplarisch für diese Geschichte steht. Langa wurde 1927 unter dem Native Urban Act auf dem Reißbrett geplant und als Model für zukünftige Townships auf vorher nicht (mehr) besiedeltem Land vor den Toren Kapstadts errichtet (ca. 12km bis zum Stadtzentrum). Schwarze Menschen wurden damals aus anderen Gebieten dorthin zwangsumgesiedelt, z.B. aus dem ersten schwarzen Township Kapstadt überhaupt, aus Ndabeni. Aber auch aus dem Stadtzentrum, aus Bellville und Tygerberg. Langa war weit von den Arbeitsstätten der meisten Bewohner entfernt, was ihren Arbeitsweg erheblich verlängerte. Es war bei seiner Errichtung stark von anderen Teilen Kapstadts abgegrenzt und hatte zu Beginn lediglich einen Ein- und Ausgang. Zu Beginn wohnten in Langa ausschließlich Männer, Frauen mussten um ihr Recht auf einen legalen Aufenthalt kämpfen. Der Wohnraum bestand aus Mietbarracken, die wenigen frühen Familien lebten in kleinen 2-Raum-Häuschen. Von einem zentral positionierten Verwaltungskomplex mit angegliederter Polizeistation aus wurden die Menschen im Township kontrolliert. Besonders im Langa Heritage Museum, das im alten Verwaltungskomplex untergebracht ist, wurde dieses Kapitel für uns als Gäste nachvollziehbar. Denn dort fanden die Gerichtsverhandlungen zu „Passverstößen“ statt. Ein „Pass“ war ein Dokument, das für die rechtmäßige Einreise in ein bestimmtes Gebiet, die Ausreise aus diesem Gebiet oder die Bewegung innerhalb dieses Gebiets erforderlich war und auf Verlangen einer bestimmten Person vorgelegt werden musste. Das Nichtvorlegen eines Passes stellte eine Straftat dar. Das Passbuch gab den Status jeder Person an und musste von Schwarzen jederzeit mitgeführt und regelmäßig erneuert werden. Bei entdeckten Verstößen mussten sich die Bewohner*innen verantworten und wurden nicht selten zu Haft verurteilt. Langa hat nicht nur eine besondere Bedeutung, weil es so alt ist. In Langa formierten sich auch wichtige Akteure des Widerstands gegen die Apartheid und es gab Aufstände und Aktionen zivilen Widerstands gegen die Apartheitsregierungen und ihre Unterdrückung (Langa Marsch 1960, Gründung des Black Mamba Youth Movement 1972, Aufstände im Zuge der Studentenproteste 1976).
Außerdem ging es uns beim Besuch in Langa darum, zu erfahren, wie die Menschen dort heute leben. Für mich persönlich war wichtig war, dass uns Menschen, die aus Langa stammen und immer noch familiäre Bezüge in das Township haben, dorthin mitgenommen und uns ihren Herkunftsort gezeigt haben und wir somit einen direkten Bezug zum Ort hatten.
Wie beschreibst Du den WFTO-Summit?
Beim WFTO-Summit kamen die Mitglieder der WFTO vom 17. bis zum 20.09.2024 in einem Kongresszentrum in Kapstadt zusammen und diskutierten über die aktuellen Themen, die die Fair Trade Bewegung bewegen und umtreiben. Es ging unter anderem um die Zukunft traditioneller Handwerkskunst auf einem globalen Markt oder darum, auch den lokalen Markt vor Ort zu erreichen. Letztlich ging es in einem Themenbereich des Summits um koloniale Kontinuitäten und darum, auch den Fairen Handel zu entkolonialisieren. Zum Beispiel indem gerade wir im globalen Norden die Geschichten überprüfen, die wir über Produzent*innen erzählen. Besonders eindrücklich war eine Veranstaltung mit dem Titel: „Fair Trade in Africa. Not just flowers, bananas and coffee“, der das Problem des Storytellings vielleicht ganz gut wiedergibt. Denn wenn wir im Fairen Handel ausschließlich die Geschichten der Bananen, Blumen und des Kaffees erzählen, und nicht gleichzeitig auch die Geschichten der Startups in der Techbranche, wie z.B. der Digital Lions, oder die der Designinnovatoren, wie Chako aus Sansibar, dann tradieren wir die alten Bilder von dem (unspezifischen) „Afrika“ als Rohstofflieferanten und ignorieren die Innovation und den Fortschritt in vielen afrikanischen Ländern. Und eine verbreitete Meinung auf dem Summit war: wenn der Konsum fair gehandelter Produkte ein Privileg des globalen Nordens bliebe, dann sei das wieder nur eine neue Form von Kolonialismus.
Was ist Dein Resumee, wenn Du auf die Reise zurückblickst?
Fairer Handel wirkt.
Der direkte Kontakt und Austausch mit den Fair-Handels-Partner*innen ist sehr wertvoll, weil er den Produkten im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht verleiht.
Für mich persönlich war die Reise eine einmalige Chance, die Menschen kennenzulernen, die den Tee, die Tassen, den Wein herstellen, die in den Weltläden verkauft werden. Wir haben Einblicke in ihre Arbeit, aber auch in ihren Alltag, in ihr privates Umfeld erhalten.
Titelfoto: H. Bill